Zwei Männer stehen mit dem Rücken zur Kamera vor einem Whiteboard, während ein Mann und eine Frau gemeinsam auf einen Monitor schauen

Agile, Lean und UX heute

Toni Steimle UX Director • Head of Site Zürich & Basel

01.02.2019 • 8 minutes reading time

Software entsteht zunehmend in cross-funktionalen Teams, die die Bereiche Konzept, Design und Entwicklung vereinen. Diese Teams nutzen ihr Wissen aus verschiedensten Bereichen und kombinieren es mit agilen und leanen Arbeitsmethoden, um ihr Projekt zum Erfolg zu führen.

Wie genau sich agiles und leanes Vorgehen auf User Experience Design auswirken, analysiert der folgende Artikel.

Agile Produktentwicklung: das Vorgehen

Agile Entwicklung basiert auf zwei grundlegenden Konzepten:

  • Software wird iterativ entwickelt.

    Jede Iteration stellt eine Art Miniprojekt dar, aus dem ein fertiggestelltes Produktinkrement resultiert. Das Inkrement wird „in einem“ geplant, entworfen, umgesetzt, integriert und getestet und der Code jedes Inkrements hat die final gewünschte Qualität. Je nach Team dauert eine Iteration zwei bis vier Wochen.

  • Software wird kollaborativ entwickelt.

    Alle Teammitglieder arbeiten — unabhängig von ihrer Rolle — gemeinsam an dem Entwurf, der Umsetzung und dem Testen des Inkrementes. Die einzelnen Teammitglieder besitzen eine schwächere Ausprägung an Spezialisierung als bei klassischen Projektvorgehen: So testen und arbeiten beispielsweise auch Entwickler bei der Spezifikation des Produktes aktiv mit.

Um Produktinkremente zu planen, unterteilen agile Teams die Produktfunktionalität in sogenannte User Stories, die in einem Product Backlog zusammengefasst werden. Jede Iteration stellt somit die Umsetzung einer User Story aus dem Product Backlog dar.

Agile Entwicklung: Herausforderungen für UX Designer

Dieses Konzept der agilen Vorgehensweise wurde ohne Fokus auf User Experience Design entwickelt. Für UX Designer ist es deswegen üblicherweise schwer, sich in agile Teams zu integrieren. Die beiden wichtigsten Gründe sind folgende:

  • Unterschiedliche Arbeitsweisen.

    User Experience Designer arbeiten zur Gestaltung des User Interfaces üblicherweise entlang von Nutzungsszenarien. Diese beschreiben einen Anwendungsfall aus Nutzersicht und beinhalten eine ganz andere Granularität als User Stories. User Stories hingegen bilden keinen aus Nutzersicht sinnvollen Anwendungsfall ab, sondern beschreiben atomar eine Reihe einzelner Funktionalitäten. Ein gutes User Experience Design lässt sich jedoch nicht aus einzelnen, voneinander losgelösten User Stories entwickeln.

  • Unterschiedliche Zeitplanung.

    Der Planungshorizont einer Iteration von zwei bis vier Wochen verunmöglicht es dem Team, effektiv User Research-Aktivitäten für die ausgewählten Funktionsbereiche zu planen und durchzuführen. Diese allein nehmen mindestens die Zeit einer Iteration in Anspruch — wenn nicht sogar deutlich mehr — und kommen dadurch der Planung und Durchführung eines nächsten Inkrementes in die Quere.

Agile Entwicklung und UX: Lösungsansätze

Cross-funktionale Teams können natürlich trotzdem agil zusammenarbeiten, denn für beide Herausforderungen gibt es praktikable Lösungsansätze:

Exemplarische User Story Map
Exemplarische User Story Map
  • Unterschiedliche Arbeitsweisen.

    Hierfür schlägt der Autor Jeff Patton in seinem Buch „User Story Mapping“ die sogenannte User Story Map vor. Diese Map ordnet User Stories entlang von Nutzungsszenarien an und schafft damit eine wichtige Verbindung zwischen agilem und nutzerzentriertem Vorgehen, denn Produktinkremente werden dann unter Berücksichtigung zusammenhängender Anwendungsfälle geplant. So können sich UX Designer einfacher in den Entwicklungsprozess einbringen.

  • Unterschiedliche Zeitplanung.

    Für das zweite Problem bieten sich mehrere Lösungsansätze.

    • Vorgelagerte Sprints. in erster Ansatz sieht vor, das User Experience Design eines Produktinkrementes in einem der weiteren Arbeit vorangehenden Sprint zu definieren. Dieser Ansatz birgt jedoch neue Herausforderungen. Er kann zu einer Aufteilung des Teams in Designer und Entwickler führen, wodurch keine kollaborative Zusammenarbeit zustande kommt. (Als Folge davon wird die Anwendung doch nicht kollaborativ entwickelt.) Zudem kann die Zeitdauer eines Sprints für die Entwicklung des User Experience Designs immer noch bedeutend zu kurz sein.

    • Iteration Null. Die sogenannte Iteration Null — auch Product Discovery genannt — ist eine dem normalen Projekt vorausgehende Iteration, in der sowohl der Product Backlog definiert als auch die Grundzüge eines User Experience Designs entwickelt werden. Da hier Analyse und Lösungsentwurf lange vor der eigentlichen Umsetzung in Angriff genommen werden, erinnert dieser Vorschlag jedoch stark an ein wasserfallähnliches Vorgehen.

    • Dual-Track-Agile. Ein neuerer Ansatz propagiert ein sogenanntes Dual-Track Agile-Vorgehen (siehe beispielsweise in diesem Artikel). In einem ersten Track, dem sogenannten Product Discovery Track, wird für ein bestimmtes Themenfeld ein Konzept entwickelt und validiert. Das Themenfeld beinhaltet zwar eine Anzahl von Nutzungsszenarien, aber nicht das gesamte Produkt. In dem zweiten Track — dem sogenannten Delivery Track — werden die Lösungskonzepte detailliert ausgestaltet und umgesetzt. Die beiden Tracks laufen parallel und werden kollaborativ im Team durchgeführt.

Dass diese Methoden bereits in grossen Projekten umsetzbar sind, konnten wir im Projekt Aviatar mit Lufthansa Technik unter Beweis stellen, denn hier konnten wir schlanke Methoden einsetzen und gemeinsam mit dem Kunden nach leanen Prinzipien arbeiten.