Illustration eines Krankenhausgebäudes mit Patienten im Querschnitt.

IMEDALytics - Healthcare Machine Learning

Annika Kaltenhauser Senior UX Designer • Senior UX Designer

Dr. Verena Rheinstädter Senior UX Researcher • Solution Expert User Research & Qualitative Methods

09.09.2019 • 5 minutes reading time

Würden Sie einem Machine Learning System zutrauen, die richtige Therapie für Sie zu berechnen?

Diese Frage mag für manche nach Zukunftsmusik klingen, sogar an Science Fiction erinnern. Der Einsatz von Machine Learning in der Pflege ist jedoch der Kern des Forschungsprojekts IMEDALytics, in dem wir gemeinsam mit der Philips GmbH (Bereich Innovative Technologies), der intensivmedizinischen Abteilung der Uniklinik Aachen, der RWTH Aachen und der Hochschule Trier forschen.

Die Ausgangssituation

Um zu erklären, was im Projekt IMEDALytics genau erforscht wird, umreissen wir kurz die aktuelle Behandlungslage. Auf Intensivstationen muss das Pflegepersonal, neben vielen anderen Behandlungsmassnahmen (wie der Zugabe von Medikamenten), darauf achten, dass der Flüssigkeitshaushalt der Patienten stabil gehalten wird. Körperflüssigkeiten, die der Patient verliert, müssen schnell ausgeglichen werden. Diese Behandlung ist unter dem Begriff „Volumensubstitution“ bekannt.

Ziel der Therapie ist die Wiederherstellung des normalen Blutvolumens, um die Durchblutung zu verbessern. Durch die dadurch erhöhte Sauerstoffversorgung des Gewebes wird eine verbesserte Gesamtorganfunktion erreicht.

Die korrekte Dosierung ist keinesfalls einfach: Behandelnde Ärzte und Pflegekräfte müssen die optimale Indikationsstellung, eine geeignete Infusionslösung sowie die massgeschneiderte Applikation der richtigen Dosis ermitteln. Gelingt ihnen das nicht, kann es zu unerwünschten Langzeitfolgen, wie Pflegebedürftigkeit und Langzeitbeatmung, kommen.

Was ist IMEDALytics?

Das Ziel des Forschungsprojektes ist die Entwicklung eines digitalen Systems, das das medizinische Personal und die Qualität der Versorgung von Intensivpatienten verbessert. Medizinisches Fachpersonal soll durch das System darin unterstützt werden, das Risiko und die weitere Behandlung eines/r PatientIn individuell abwägen zu können.
Aktuelles Leitlinienwissen soll mit innovativen Technologien zur maschinellen Datenanalyse zusammengeführt werden. Dieser Prozess besteht aus mehreren Schritten:

  • Medizinisch relevante Leitlinien, die nur in Textform vorliegen, werden mit Natural Language Processing-Ansätzen semantisch erfasst und in die Empfehlung integriert.

  • Individuelle Patientenzustandsdaten verknüpfen wir mit Behandlungspfadmustern, die auf grossen Patientendatensätzen basieren.

  • Das IMEDALytics-System ist lernfähig und generiert kontinuierlich neues Wissen aus erhobenen Daten, die ihm zur Verfügung gestellt werden.

  • Dieses neu erworbene Wissen kann zukünftig bei der Entwicklung neuer, datengestützter Verfahren zur evidenzbasierten Erstellung von Leitlinien eingesetzt werden.

Konkret bedeutet dies, dass das Pflegepersonal vom IMEDALytics-System qualifizierte Vorschläge zur optimalen Behandlung der Patienten erhält. Die finale Behandlungsentscheidung trifft weiterhin immer ein Mensch.

ÄrztInnen und Pflegekräfte verfügen über hochspezialisiertes Fachwissen, einen hohen Erfahrungsgrad und präzise erlernte Routinen. Maschinenintelligenz kann riesige Datenmengen so auswerten, dass komplexe Zusammenhänge identifiziert und präzise Empfehlungen gegeben werden können. Solche statistischen Analysen im Gesundheitswesen zu nutzen ist eine verlockende Idee, ihr Potential, versteckte Muster zu identifizieren und die Behandlung von Patienten zu unterstützen ist gross.

Was ist unsere Rolle in dem Projekt?

Unsere Aufgabe? Die menschengerechte Gestaltung einer effizienten, effektiven und zufrieden stellenden grafischen Schnittstelle gemäss der ISO Norm 9241-210 und 62366.
Konkret bedeutet dies, dass wir ein Graphical User Interface (GUI) konzipieren und designen werden, das dem Nutzer die Gesamtheit des IMEDALytics-Systems vermitteln wird — inklusive algorithmischer Empfehlungen.
Der medizinische Kontext stellt technische Systeme und ihre Nutzeroberflächen jedoch vor besondere Herausforderungen — und somit auch uns. Es ist immanent, dass das System sich nahtlos in den Klinikalltag und die Arbeitsabläufe der medizinischen Fachkräften integriert, damit es tatsächlich als hilfreich empfunden und in ihrem anspruchsvollen Alltag genutzt wird. Eine hohe Usability sowie ein positives Nutzererlebnis sind dafür essentiell.
Ausserdem stehen die Anwender unter Druck und Stress. Fehler in der Therapie können weitreichende Folgen nach sich ziehen. Gleichzeitig bleibt dem Personal wenig Bedenkzeit.

Essentiell für das System: der Nutzungskontext

Um diesen Gestaltungsvoraussetzungen gerecht zu werden, ist es essentiell, ein tiefgreifendes Verständnis aller Nutzergruppen zu erlangen. Sowohl durch intensive Interviews als auch Job Shadowing verschaffen wir uns facettenreiche Einblicke in den Alltag des Personals und die Behandlungsvarianten der Volumensubstitution.

Eine erste Herausforderung kristallisierte sich bereits zu Beginn heraus: aktuelles Leitlinienwissen und algorithmische Empfehlungen müssen wir so visualisieren, dass sie individuellen Nutzerpräferenzen entgegenkommen. Denn diese benötigen unterschiedlich komplexe und tiefgreifende Informationen:

  1. Zur Diagnoserstellung (retrospektiv) und

  2. Vorschläge zur Therapieführung, parallel zur Risikoeinschätzung (prognostisch)

  3. Angaben zur aktuellen Überwachung in leicht verständlicher und nachvollziehbarer Weise

Zusätzlich ist zu berücksichtigen, an welchen Stellen die Interaktion mit dem System natürlich stattfinden kann und welche Nutzergruppe das System betrachtet. Zentral ist hier auch, dass ÄrztInnen die Möglichkeit haben, manuell Feedback in das System zurückzugeben.

Fazit

Es ist unser Ziel, die menschlichen Kompetenzen mit den Möglichkeiten eines Machine Learning Systems optimal zu ergänzen. Über den Zeitraum von drei Jahren arbeiten wir gemeinsam mit unseren Projektpartnern daran, ein IT-basiertes Entscheidungs-Unterstützungssystem im Bereich der Volumensubstitution bei Intensivpatienten zu erschaffen.

Annika ist seit 2014 UX Designerin bei Ergosign. Für eine ganzheitliche Betrachtung ihrer Projekte verknüpft sie ihre praktischen Erfahrungen und Methoden des UX Designs mit der Forschung zur Mensch-Computer-Interaktion.

Annika KaltenhauserSenior UX Designer

Verena ist Senior UX Researcherin. Sie begeistert sich für ergonomische, durchdachte Produkte und ist bei Ergosign dafür verantwortlich, dass Erkenntnisse aus User Research und Forschungsprojekten in Konzepte und Designs einfliessen.

Dr. Verena RheinstädterSolution Expert User Research & Qualitative Methods