Frau und Mann schauen gemeinsam auf ein Tablet

Best practices im agilen Remote Testing

Stefan Kiefer Lead UX Designer, Team Manager

Adrian Zürl Senior UX Designer, Solution Expert Design Systems

19.02.2018 • 8 Minuten Lesezeit

Jeder, der bereits ein Softwaretesting durchgeführt hat, kennt den Aufwand, der damit verbunden ist. Im folgenden Artikel zeigen wir Dir kompakt die Best Practices, um Software agil und remote zu testen.

Heute ist es wieder soweit: Es steht das Testing eines Software-Prototypen bevor.

Jeder, der bereits ein Softwaretesting durchgeführt hat, kennt dieses Szenario und den Aufwand, der damit verbunden ist. Probanden müssen rekrutiert und eingeladen werden und man ist den ganzen Tag damit beschäftigt, die drei bis vier Sessions durchzuführen. Doch es gibt eine Alternative, mit der man sich einige Arbeit (er)sparen kann und die auch schnell und schlank durchzuführen ist:

Das agile Remote Testing.

Beim agilen Remote Testing schaltest Du Deine Probanden von beliebigen Orten virtuell zum Testing zu. Wenn Du die folgenden Tipps und Tricks beherzigst, kannst Du noch effizienter zu guten Ergebnissen kommen.

Zeit sparen: Rekrutierung der Probanden

Rekrutierungsagentur beauftragen

Die Rekrutierung für das Remote Usability Testing kann durch den Kunden selbst oder über einen externen Dienstleister erfolgen. Vor allem bei Consumer Produkten macht es jedoch Sinn, einen externen Partner zu beauftragen. Du sparst Dir nicht nur die Organisation, sondern bekommst in nur wenigen Stunden passende Testpersonen aus einem riesigen Pool aller Altersgruppen mit Lebensläufen und Interessen zur Verfügung gestellt. Kriterien der Probanden und Termine können vorab definiert werden. Zudem haben die meisten Probanden bereits Usability Tests durch geführt, kennen das Vorgehen und den Ablauf. Das spart Dir Zeit beim Briefing.

Die Anzahl von 5-8 Probanden sollte für einen Usability Test nicht überschritten werden. Laut Nielsen werden mit fünf Probanden schon 85 % aller Usability-Probleme identifiziert.

Bei Ausfall Ersatz parat haben

Es kann immer passieren, dass ein Proband ausfällt. Daher solltest Du Dir zwei bis drei Personen mehr aussuchen. Buchst Du Deine Probanden über eine Agentur, helfen Dir die Steckbriefe bei der Auswahl und Du hast Zugriff auf die E-Mail-Adresse oder, besser noch, die Telefonnummer. So kannst Du schnell für Ersatz sorgen. Da jeder Ausfall Zeit in Anspruch nimmt, plane genügend Puffer zwischen den Slots ein, um Stress zu vermeiden.

Gut vorbereitet: Aufbau und Setup

Testsetup aufbauen und prüfen

Nutze auf jeden Fall eine LAN-Verbindung anstelle von WLAN, um Verbindungsabbrüche zu vermeiden.

Du rufst die Probanden mittels eines Online-Meeting-Tools (Skype, GoToMeeting, Teamviewer etc.) an. Mit einem Aufnahmetool (wie beispielsweise Quicktime) wird der gesamte Bildschirm aufgenommen. Dupliziere den Bildschirm, damit auf allen angeschlossenen Monitoren das gleiche zu sehen ist.

Über eine Webcam wird der "Sichtkontakt“ zwischen dem Probanden und Dir als Moderator hergestellt.

Zur optimalen Gesprächsqualität und Tonaufnahme empfiehlt es sich, zusätzliche Lautsprecher und ein externes Mikrofon zu verwenden.

Vergiss nicht, dass es sehr wichtig ist, dass Du Dich während der Moderation des Testings wohlfühlst. Richte den Raum daher vor der Session so ein, dass Du alles Notwendige griffbereit hast und störende Dinge weggeräumt bzw. unsichtbar für den Probanden sind.

Vorteil eines Beobachtungsraums

Auch wenn man Remote nicht zwingend einen Beobachtungsraum benötigt, so bietet er doch Vorteile.

Projektbeteiligte können den Test ungestört verfolgen und eine Live-Auswertung der Findings in Form einer User Journey Map durchführen. Plane zur Konsolidierung der Findings ausreichende Zeit zwischen den Test-Sessions ein. Dadurch kannst Du Dir eine spätere, oft langwierigere Auswertungen von Videos sparen.

Abbildung Schematischer Aufbau eines Beobachtungsraums
Schematischer Aufbau eines Beobachtungsraums

Startklar? Vorbereitung und Technik

Teilnahmeerklärung vorab versenden

Damit das Remote Testing in jeder Session unmittelbar starten kann, sollest Du den Probanden die Teilnahmeerklärung vorab zusenden. Insbesondere, wenn sich die Probanden z.B. in eine Rolle hineinversetzen sollen, ist es vorteilhaft, diese Informationen rechtzeitig zur Verfügung zu stellen.

Das Einverständnis zur Schweigepflicht erfolgt pragmatisch auf der Tonspur (Aufnahme). Zukünftig könnte man sich an dieser Stelle auch eine digitale Unterschrift vorstellen. Da dieses Vorgehen aber bestimmte Hardware für jeden Probanden voraussetzt, ist es noch nicht der Standard.

Testdokumente – wie Inhalte für Formulare oder konkrete Handlungsaufforderungen – sollten jedoch NICHT vorab zugesendet werden, um den Test nicht zu verfälschen.

Auch die eigentlichen Aufgaben werden erst während des Tests vom Moderator vorgelesen, da es für die Probanden schwierig ist, zwischen Prototypen und Aufgaben zu wechseln.

Seriosität ist wichtig

Achte schon vor dem Testing auf die Seriosität. Es macht bei den Probanden einen besseren Eindruck, wenn Du sie mit einem offiziellen Firmenaccount anrufst. Da ihr euch sehen könnt, sollte die Kleiderwahl auch entsprechend getroffen sein.

Starte jede Session mit einer offiziellen Begrüßung, in der Du Dich und Deinen Arbeitgeber vorstellst und um was es bei dem Testing geht. Biete an, dass jederzeit Fragen an Dich gestellt werden können. Es ist auch wichtig, dass die Probanden wissen, dass der Test jederzeit abgebrochen werden kann. Niemand sollte sich gezwungen fühlen.

Probanden-Setup vorab klären

Denk immer daran, dass die technische Ausstattung der Probanden meist nicht professionell ist. Sie führen die Gespräche und Tests meist zu Hause durch und verwenden Mikrofone, Kameras und/oder PCs von meist minderer Qualität. Schwankende Verbindungsqualität (z.B. beim Buffering) musst du ebenfalls bei der Zeitplanung berücksichtigen.

Hat der Proband zum Beispiel Gegenlicht, weise ihn darauf hin und bitte ihn, sich einen anderen Platz für das Testing zu suchen, damit das Gesicht gut wahrnehmbar ist. Oft kommt es auch vor, dass sich störende Pop-Ups (z.B. Antivirus etc.) automatisch öffnen. Mit einem Testanruf vor der Session kannst Du Deinen Probanden optimal vorbereiten. Erkläre ihm Schritt für Schritt, wie der Prototyp gestartet wird.

Schematische Darstellung eines Versuchsaufbaus
Weise Deinen Probanden darauf hin, wenn er nicht gut zu sehen ist
Schematische Darstellung von Benachrichtigungen
Alle störenden Meldungen sollten vor Beginn des Testings deaktiviert werden

Achtung Live!

Prototyp bereitstellen und Einweisung

Zur möglichst latenzfreien Interaktion mit dem Prototypen solltest Du diesen auf einem passwortgeschützten Server bereitstellen. Nach den Einleitungsfragen teilst Du die nötigen Informationen per Chat mit.

Im Anschluss an den Test kannst Du Deinen Bildschirm übertragen, um auf Detailfragen einzugehen. Das hat den Vorteil, dass Du schneller zu bestimmten Inhalten springen kannst.

Prototypen im Vordergrund platzieren

Um den Prototyp vollständig erfassen zu können, musst Du Deinen Probanden darauf hinweisen, dass Kamerafenster sowie anderen störenden Fenster geschlossen werden müssen.

Da die Probanden unterschiedliche Hardware und eine Vielzahl an Bildschirmauflösungen haben, kann es vorkommen, dass statische Prototypen nicht vollständig zu sehen und teilweise in der Horizontalen abgeschnitten sind. Wichtige Bedienelemente könnten dadurch nicht richtig sichtbar sein.

Bitte den Probanden, die Zoomstufe im Browser zu verkleinern oder den Bildausschnitt auf den Prototypen zu zentrieren.

Schematische Darstellung einer Remote Testing-Situation
Achte darauf, dass der Proband den kompletten Prototyp im Blick hat

Last but not least

Achte auf Deine Körpersprache

Da der Proband den Moderator und Protokollanten die meiste Zeit über die Kamera sieht, solltest Du auf Deine Körpersprache achten. Eine positive Körpersprache motiviert und ermutigt die Probanden bei der Lösung der gestellten Aufgaben.

Schematische Darstellung einer Remote Testing-Situation
Achte darauf, was Deine Körpersprache aussagt. Bitte nicht gelangweilt wirken 😉

Sei freundlich und hilfsbereit

Achte immer auf einen freundlichen Umgang, damit sich der Proband wohl fühlt. Mit Deiner positiven Ausstrahlung ermutigst Du die Probanden eher dazu, Dir offenes Feedback zu geben. Die Situation wird dadurch offener und kommunikativer, was für ein gutes Testing essenziell notwendig ist.

Natürlich bewahrst Du auch bei technischen Problemen die Ruhe. Denn mit einem kühlen Kopf findet sich meistens am schnellsten eine Lösung.

Zusammenfassung

Unsere Best Practices auf einen Blick:

  • Bei Ausfall Ersatz parat haben

  • Teilnahmeerklärung vorher versenden

  • Seriosität ist wichtig

  • Probanden-Setup vorab klären

  • Prototypen via Server bereitstellen

  • Komplette Sichtbarkeit des Prototypen

  • Achte auf Deine Körpersprache

  • Sei freundlich und hilfsbereit